Es gibt Schnitt für Webware, und es gibt Schnitte für Maschenware. Mit gutem Grund sind das üblicherweise unterschiedliche Schnitte, denn zu verschieden sind die Eigenschaften der Stoffarten und die Verarbeitungstechniken. Natürlich werden auch immer wieder mal Schnitte angeboten, bei denen die Stoffart egal sein soll- das trifft dann aber auch auf die Güte der Paßform zu, um solche Schnitte habe ich bisher einen großen Bogen gemacht.
Eine interessante Ausnahme von dieser Regel stellt der Schnitt „High Cuff Sweater“ des schwedischen Schnittlabels The Assembly Line dar. Hier wird ein Webstoff mit einem dehnbaren Bündchen kombiniert. Der Schnitt wird in den sozialen Medien meistens aus Webstoff gezeigt, aber die Schnittbeschreibung sieht auch Jersey als Hauptstoff vor.
„High Cuff“ bezieht sich auf die Rückansicht, denn hier wird das Bündchen, der Cuff, bogenförmig nach oben gezogen. Das ist ein ausgesprochen witziges Detail an diesem Schnitt, das einen guten Sitz des Sweaters garantiert. Sonst ist der Schnitt unspektakulär: etwas überschnittene Ärmel, Rundhalsausschnitt, leicht nach unten gestellte Brustabnäher,Länge bis etwas über die Taille.
Die Anleitung ist so, wie man es von einer etablierten und hochpreisigen Schnitt-Firma erwartet. Alles wird gut und ausführlich beschrieben, die Nahtzugabe von 1 cm ist im Schnitt enthalten. Etwas gestutzt habe ich nur beim Ärmelschnitt: hier sind vordere und hintere Ärmeleinsatzpunkte mit der gleichen Markierung gezeichnet, aber der Ärmel ist durchaus nicht ganz symmetrisch, sondern im Vorder- und Rückenärmel verschieden, man darf die Ärmel also nur in einer Richtung einsetzen. Eine Markierung mit einem Doppelstrich am hinteren Ärmeleinsatzpunkt würde hier Klarheit schaffen.
Das Einfügen des elastischen Bündchens an den Webstoff gelingt wirklich problemlos, wobei sich bei mir dann doch einige Fältchen bildeten, die ich nicht wegbügeln konnte. Besser wäre es gewesen, die Ausschnittkante des doch recht weichen Webstoffes mit einer Einlage zu stabilisieren, so meine Erkenntnis nach dem Nähen. In der Anleitung findet sich darauf kein Hinweis, obwohl die Stoffempfehlung leichte und „midweight“ Stoffe empfiehlt.
Ja, mein Stoff…das ist auch eine interessante Angelegenheit. Es handelt sich um einen Viscosetwill von Mindthemaker, gekauft hatte ich ihn im Herbst 2019. Ich weiß noch genau, wie scharf ich auf diesen Stoff war, weil ich ihn auf vielen Bildern so schön fand. Es ist ja auch ein schöner Stoff, mit diesen rostroten Blüten auf dem grünen Untergrund. Aber in echt hat der Stoff irgendeinen düsteren Anklang, der mich lange von der Verarbeitung abgehalten hat. Dazu kommt, daß er nicht durchgefärbt ist, also eine weiße linke Seite hat, dadurch wirkt er deutlich billiger als er war. Ich habe ihn oft in der Hand gehabt, für ein Kleid, einen Rock in der engeren Wahl gehabt, aber konnte mich dazu nicht entscheiden. Jetzt wurde er verarbeitet, da Mind the Maker so schöne passende Bündchen dazu angeboten hatte. Ganz identisch war der Farbton des flaschengrünen Bündchens dann doch nicht, aber das kann man auch nicht erwarten bei so unterschiedlichen Stoffen. Auf den Bildern kommt es nicht so ganz raus, aber die Grüntöne sind eine Farbfamilie und beißen sich nicht.
Ich hatte mir einiges erwartet von diesem Schnitt, der auch in den sozialen Medien mit schönen Designbeispielen gezeigt wird. Ich hatte irgendeine ideale Mischung der verschiedenen Stoffarten mir vorgestellt, sozusagen das Beste aus zwei Welten verein…die Sportlichkeit eines Sweatshirts kombiniert mit der Eleganz einer Bluse, das war so mein Wunschtraum.
Träume gehen nicht immer in Erfüllung, und so finde ich das Gesamtergebnis ganz ok- ein Lieblingsstück wird der Sweater wohl nicht bei mir. Am meisten stört mich das Gefühl beim Anziehen- ich erwarte, ein Sweatshirt anzuziehen, und dann kommt nur dieses luftige Viskose-Feeling, das überhaupt nicht wärmt- das paßt in meiner Wahrnehmung nicht zusammen. Ich muß bei den derzeitigen Temperaturen immer eine Jacke darüber tragen. Das ist ja nicht schlimm, aber dann könnte ich auch gleich eine Bluse anziehen, die wäre dann zumindest schicker. Und die Kombination des Viskosewebstoffes mit dem Baumwollbündchen ist in meinen Augen zumindest ungewohnt…vielleicht ändert sich das noch mit längerer Tragezeit.
Die Hose, die ich dazu trage, hat aber absolut das Potential zu einem Lieblingsteil. Es handelt sich um die Sasha Trousers von Closetcore, die ich hier schon mal gezeigt habe. Die Sasha- Hose ist eine Chino aus einem dehnbaren Stoff- aus einem sehr dehnbaren Stoff, Dehnbarkeiten von 20% werden hier verlangt. Das schaffen nicht viele Hosenstoffe, in diesem Fall war es ein Stretchcord von metermeter, der so schön elastisch war und förmlich nach diesem Schnitt verlangte.
Wie immer bei meinen Hosen ist die Innenansicht spektakulärer als die Außenansicht:
Die Hose Sasha ist dank der guten Anleitung von Closetcore nicht schwer zu nähen. Ich habe die Anpassung meiner ersten Sasha übernommen, damit sitzt die neue Hose jetzt eher „knackig“. Bei längerem Tragen wie bei einer Wanderung kam mir der Gedanke, daß 0,5 cm mehr in der Schrittlänge vielleicht gut gewesen wären…andererseits ist meine Erfahrung mit Hosen aus dehnbaren Stoffen, daß sie mit der Tragedauer alle deutlich weiter werden. Ich denke, das ist das Elasthan, das mit der Zeit seine Funktion einbußt. Mit „Zeit “ meine ich jetzt wirklich viele Monate- meine erste Sasha habe ich im April 2019 genäht, viel getragen und natürlich auch viel gewaschen. Jetzt sitzt Sasha die erste sehr, sehr locker, genau wie meine Pinda-Jeans, die meine absolute Lieblings-Bequemjeans ist. Es stört mich überhaupt nicht, daß diese Hosen nicht mehr so eng sitzten, sie haben irgendwie über das Tragen eine Form angenommen, in der ich mich sehr wohl fühle. Das ist ja das Schöne an diesen viel getragenen Hosen- man gewöhnt sich aneinander, vielleicht wie in einer langjährigen Ehe.
Also, eine Hose mit Potential zum Lieblingsteil, und ein Sweatshirt mit eher experimentellem Charakter, so konnte ich die Wanderung an diesem schönen Vorfrühlingstag geniessen!
Hallo Barbara, mit großer Neugier habe ich Deinen wie immer ausführlichen Blogbeitrag gelesen, vor allem interessierte mich Deine Erfahrung mit dem Talcuffsweater. Hier liegt nämlich schon länger der Schnitt und immer wieder war ich unentschlossen, das Bündchen mit Webware zu kombinieren. Ich konnte das bisher nicht erklären, aber als ich Deinen Bericht las, wurde mir klar, warum ich so lange zögere. Du hast es mit dem Tragegefühl und der Swestshirt=Kuschelteil – Wahrnehmung auf den Punkt gebracht. Danke, danke! Ich nehme jetzt Sweat, Strick oder Jersey. Vom Tragegefühl abgesehen finde ich Deinen Sweater sehr hübsch. Und die Farben sind toll und passen ganz wunderbar zu Dir. Liebe Grüße von Ina
Liebe Ina, ich freue mich sehr, wenn ich bei Deiner Entscheidungsfindung mithelfen kann! Der Schnitt an sich ist ja schon toll, aber ich denke, wenn man ihn aus Sweat näht, ist man auf der sicheren Seite. Jetzt bin ich gespannt, welchen Stoff Du wählst!
LG und Danke,
Barbara
Ich verstehe, was du meinst, bei Betrachtung der Fotos dachte ich ab ein völlig normales Sweatshirt, manchmal produziert man etwas, das sich als Fail entpuppt und lernt daraus, die Hose siehtcklasse aus, LG Anja
Liebe Anja, danke! ich finde ja auch, man lernt eigentlich immer was dazu, und wenn es in dem Fall nur die Tatsache ist, daß ein Sweater aus Viskose nicht so gut funktioniert. Und die Optik des Teiles ist wirklich ganz ok.
LG Barbara
Liebe Maria-Barbara,
Danke für diese Schnittreview. Ich habe den Schnitt auch schon einige Male auf Insta gesehen und war etwas skeptisch. Ich glaube nach deinem Bericht, ich bin dann auch eher Typ entweder oder- entweder Bluse oder Pulli.
Ich finde übrigens diese dunklen kräftigen Farben stehen dir sehr gut !
Liebe Grüße,
Sam
Liebe Sam, danke für Dein Kompliment! Die Farben sind ja eigentlich schon meine Farben, es ist wohl eher die Haptik des Stoffes, die mich irritiert hat. Auf Instagramm gibt es viele sehr schöne Beispiele dieses Schnittes , finde ich, vielleicht war meine Stoffwahl auch nicht so optimal.
LG Barbara
Mir gefällt ja die Idee, einem feinen Webstoff durch Trikotbündchen einen lässigen Touch zu verleihen.
Ich habe das auch schon vor ein paar Jahren bei Konfektionsware gesehen und damals der Tochter so ein Webstoffshirt mit Trikotbündchen gekauft, das sie gern und lange getragen hat.
Ich glaube, dass deine Zweifel am Konzept an deiner Stoffwahl liegt: du scheinst von der Qualität und dem Muster nicht überzeugt zu sein.
Und klar, so ein Webstoffshirt vermittelt ein kühlendes Gefühl auf der Haut, das man eher in der warmen Jahreszeit schätzt. Aber du kannst vielleicht noch ein Shirt drunter ziehen?
Wie auch immer; ich kann mir jedenfalls vorstellen, dass mit einem anderen Webstoff dein Gesamturteil ganz anders ausfällt.
Übrigens gefällt mir das Shirt richtig gut an dir und die Hose ist definitiv super gelungen.
Herzliche Grüße von Susanne
Liebe Susanne, die Konfektion hat da sicher auch noch ganz andere Möglichkeiten, einen Webstoff mit Bündchen zu kombinieren, schon die Farbgestaltung ist da sicher einheitlicher. Interessant, daß Deine Tochter das so gerne mochte!
Du hast völlig recht, der Stoff war nie so ganz mein Lieblingsstoff, deshalb hatte ich ihn wohl auch für dieses Experiment genommen. So schlimm ist das Ergebnis ja auch nicht, ich werde das Shirt definitiv tragen, nur ein Lieblingsteil wird es wohl nicht werden.
LG und Danke,
Barbara
Ich kann Deine Enttäuschung nach vollziehen. Auch bei mir mag der Funke nicht so wirklich überspringen, sowohl was den Trend-Schnitt als auch den Trend-Stoff betrifft. Ich meine mich zu erinnern, dass sich 500 days of sewing auch darüber geärgert hat, wie sehr die Farben von den Produktfotos abweichen. Die optisch-haptische Irritation, die der Schnitt auslöst, hast Du sehr eingängig auf den Punkt gebracht. Dafür ist die Hose umso schöner! Super Idee, die Sasha aus Cord zu nähen. Liebe Grüße Manuela
Liebe Manuela, ich kenne natürlich den Bericht von Melanie (500 days of sewing), die ein Kleid aus dem Stoff genäht hat(ein Kleid, das mir auf ihren Bildern aber sehr gut gefallen hat). Ich halte nach wie vor recht viel von der dänischen Stoff-Firma Mindthemaker, aber dies war ja einer der ersten Viskosestoffe, die sie hergestellt haben. Vielleicht sollte man auch einer Stoff-Firma eine gewisse Lernkurve zubilligen- die letzten Stoffe von Mindthemaker, die ich gekauft habe, fand ich wieder ausgesprochen hochwertig.
Liebe Dank und Grüße,
Barbara